Die Verfassung des Königreichs Westphalen (1807–1813) vom 15. November 1807
Durch den Friedensvertrag von Tilsit (9. Juli 1807) hatte Preußen sich auf die linkselbischen Gebiete zurückziehen müssen.
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- 1807 Verfassung des Königreichs Westphalen
- 1807–1813 Königreich Westfalen
- 1807 Friedensvertrag von Tilsit
Verfassungsmodell Westphalen
Durch den Friedensvertrag von Tilsit (9. Juli 1807) hatte Preußen sich auf die linkselbischen Gebiete zurückziehen müssen. In Verfolgung seiner Pläne zur Neuordnung Europas stellte Napoleon ihm westlich der Elbe mit dem Königreich Westphalen einen neuen Großstaat gegenüber. Als erste geschriebene Verfassung auf deutschem Boden war die westphälische Verfassung Vorbild für die Verfassungen der Rheinbundstaaten Bayern, Frankfurt und Anhalt-Köthen. Auf Grundlage der von Kaiser Napoleon diktierten Verfassung für das Herzogtum Warschau wurde sie vom Straßburger Juristen Christoph Wilhelm Koch entworfen und von Napoleon erlassen.
Oberste Verfassungsorgane
Oberste Verfassungsorgane waren König, Minister, Staatsrat und Ständeversammlung. Die dominierende Stellung des Königs wurde vorausgesetzt. Es galten das moderne Ressortprinzip und das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit, die allerdings nur gegenüber dem König bestand. Dem französischen Conseil d’État von 1799 nachgebildet, sollte der Staatsrat der Regierung beratend zur Seite stehen, ganz im Geiste der Aufklärung zwischen Vernunft und Politik vermitteln. Zu seinen Aufgaben zählte u. a. die Ausarbeitung von Verwaltungsverordnungen und Gesetzen; ein Gesetzesinitiativrecht bestand nicht. Nach gemeinsamer Diskussion der Gesetzesentwürfe in den Fachausschüssen von Staatsrat und Ständen faßte das Staatsratsplenum unter Vorsitz des Königs Beschluß über die Entwürfe und legte sie den Ständen zur Abstimmung vor. Die Ständeversammlung zählte hundert ehrenamtliche Mitglieder. Ebenfalls ohne eigenes Gesetzesinitiativrecht befanden die Stände über die Entwürfe in geheimer Abstimmung. An das Abstimmungsergebnis war die Regierung allerdings nicht gebunden und konnte bei Ablehnung das Gesetz als Dekret erlassen. Als erstes gewähltes Parlament auf deutschem Boden traten die Stände am 4. Juli 1808 zusammen. Sie nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. Trotzdem oder gerade deshalb blieb ihr Einfluß auf das Verfassungsleben des Königreichs Westphalen gering. Ihre zweite Einberufung im Jahre 1810 war gleichzeitig die letzte, da sie wagten, eine Regierungsvorlage abzulehnen.
Französische clarté
Die Verfassung räumte die buntscheckige Karte des Heiligen Römischen Reichs auf. Die Verwaltungseinheiten gliederten sich streng hierarchisch nach französischem Muster. Auch Prozeß- und Gerichtsverfassungsrecht wurden nach französischem Vorbild eingerichtet. Weil die Existenz des zunächst einzigen Appellationsgerichts die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewährleistete und ein eigenes Kassationsgericht zu teuer war, war der Staatsrat zugleich Kassationsgericht. Das lief dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht wirklich zuwider, da der Staatsrat keine Weisungsbefugnis hatte – die eigentlichen Entscheidungen fällten immer die ordentlichen Gerichte. Die richterliche Unabhängigkeit wurde verfassungsrechtlich verankert – es sollte keine Machtsprüche mehr geben: Ernennung auf Lebenszeit war nach fünf Jahren Erprobung möglich. Lediglich bei Pflichtverletzung war der Richter auf Antrag des Appellationsgerichts durch den König absetzbar.
Kein „Schein-Konstitutionalismus“
Brachte die Verfassung auch nicht allen Bevölkerungskreisen die Teilhabe an der politischen Macht, so doch die Gleichheit vor dem Gesetz. Standesprivilegien fielen, die Leibeigenschaft wurde aufgehoben. Die Umsetzung der französischen Revolutionsideale Freiheit und Gleichheit erfolgte auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts durch die Einführung des Code Napoléon zum 1. Januar 1808. Zu Unrecht wird der Verfassung des Königreichs Westphalen – wie den übrigen Verfassungen der Rheinbundstaaten – bis heute der Vorwurf des „Schein-Konstitutionalismus“ (E. R. Huber) gemacht. Denn bereits die Existenz einer geschriebenen Verfassung begründete Bürgerrechte. In Westphalen wurden Ideen umgesetzt, die in Preußen erst nach der Märzrevolution von 1848 ihre Entsprechung fanden.
Literatur
- Rob, Klaus, (Bearbeiter), Regierungsakten des Königreichs Westphalen 1807-1813, München 1992, mit umfassenden Quellen- und Literaturnachweisen