Deutsche Demokratische Republik (1949–1990)

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1. Partei und Staat

Für Karl Marx (1818–1883) hatte das Recht keinen eigenen Wert. Wie andere Kulturgüter, etwa Philosophie, Kunst und Literatur, war es ihm lediglich "Überbau" der jeweils herrschenden Produktionsverhältnisse und wandelte sich dementsprechend, wenn und soweit sich die Wirtschaftsverfassung änderte. Mit dieser Deutung konnten die in Gestalt der Bolschewiken 1917 in Russland zur Macht gelangten Marxisten nicht länger auskommen. Sie definierten das Recht als den "Hebel", mit welchem die zur Herrschaft gelangte Arbeiterklasse, geführt von ihrer Partei, den gesellschaftlichen Fortschritt auf den Weg brachte und in Gang hielt. Das Recht hatte danach einen rein instrumentalen Charakter und war nicht mehr als die formalisierte Fassung von Parteibeschlüssen. Deren Politik war bestimmt von der Idee des Fortschritts und der Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaftsordnung. Zugleich wusste sich die Staatspartei im vollen Besitz der Wahrheit. Darauf gründete sie ihren Anspruch auf umfassende politische Herrschaft. Das Recht hatte demzufolge einen hinfälligen Charakter: An der Schnelligkeit seines Veraltens ließ sich die Geschwindigkeit des Fortschritts auf dem Wege zum Glück des Kommunismus ablesen. Die Staatspartei beanspruchte für sich als die Verwalterin der Wahrheit quasi-religiösen Charakter, insoweit der soeben verabschiedeten Staatskirche vergleichbar. Ihre Lehre galt als die wissenschaftlich bewiesene, nicht bezweifelbare, von jedem Bürger zu glaubende Wahrheit. Zweifel daran machte den Dissidenten zum Staatsfeind, wie er ihn ehedem zum Ketzer gemacht hatte. Der Besitz der vollkommenen Wahrheit rechtfertigte auch die Verwerfung der Lehre der Gewaltenteilung. Statt ihrer galt der Grundsatz Einheit der Staatsgewalt. Da das Recht quasi theokratisch begründet und verwaltet wird, kann es als fundamentalistisch charakterisiert werden. Die im Besitz der Wahrheit sich wähnende Staatspartei konnte neben ihrer eigenen Offenbarung keine sonstige Rechtsquelle zulassen. Staat und Gesellschaft konnten unter ihrer Leitung nicht in sich selbst uneins sein, wie es die überwundene bürgerliche Gesellschaft gewesen war.

2. Der marxistisch-leninistische Rechtsbegriff

Entgegen der Lehre von Marx hatte die Eroberung der Macht durch Lenin 1917 in einer vorindustriellen, agrarischen Gesellschaft stattgefunden. In Deutschland hatte er zwar den Vorteil, in einer Industriegesellschaft erprobt werden zu können, kam aber gleichfalls nicht theoriegerecht zur Herrschaft, nicht durch eine Revolution, sondern durch eine militärische Kapitulation und die Gründung der Sowjetischen Besatzungszone im Jahre 1945. Es gab für die Besatzungsmacht keine Zweifel, dass in ihrer Zone das sowjetische Vorbild genauestens zu übernehmen und kein anderer "Weg zum Sozialismus" zugelassen war. In jedem Fall aber war der vollständig instrumentalisierte marxistisch-leninistische Rechtsbegriff maßgeblich. Dieser glich in zweierlei Hinsicht dem des besiegten nationalsozialistischen Staates: Einerseits wurde die Person, der Einzelne dem Willen des Kollektivs unterworfen - dort dem Kollektiv der Rasse, hier dem der Klasse, jedes mal aber dem der diese leitenden Staatsparteien. Rechte und auch Grundrechte waren mithin dem Kollektiv geschuldete Pflichten und von jenem zugeteilte Befugnisse, deren Ausübung durch den Einzelnen das Kollektiv überwachte. Den Staat oder gar die Partei kontrollierende Rechte des Bürgers konnte es nicht geben. Auch das "Zivilrecht" war öffentliches Recht und wurde - als "Feierabendrecht" belächelt - nur für jenen Bereich zugelassen, in dem man dem Bürger gestattete, ein eigenbestimmten Leben zu führen. Ferner galt weiter der bereits vom NS-Staat her bekannte Grundsatz, dass die Partei dem Staat befiehlt. Daher gab es weiterhin eine zweispurige Verfassung, in der jeder staatlichen Funktion und Behörde eine entsprechende in der Partei vorgesetzt war. In einer Hinsicht unterschied sich die Verfassung der DDR jedoch von jener des NS-Staates: Sie erstreckte die Wirksamkeit und Kontrolle der Staatspartei durch ihre "Grundorganisationen" bis in jeden einzelnen Betrieb, jede Behörde und Abteilung.

3. Juristen in der DDR

Da die Juristen unter der Kontrolle der Partei standen, hatten sie lediglich nachgeordnete Funktionen zu erfüllen und genossen, wie auch das Recht selbst, geringes Ansehen und waren dennoch zugleich zu besonderer politischer Treue verpflichtet. Ihre Zahl war im Vergleich zu jener im bürgerlichen Rechtsstaat gering, da die Partei andere Formen der Konfliktlösung und Disziplinierung, vor allem durch die sogenannte "Stasi" vorzog. Als auch parteitreue Juristen gegen Ende der DDR davon zu reden begannen, dass die Rechtsstellung des Bürgers im Staate, seine Rechtssicherheit gestärkt werden müsse, und als demgemäß auch eine, in ihren Funktionen beschränkte, Verwaltungsgerichtsbarkeit zugelassen wurde, war das Experiment des dort so genannten "real existierenden Sozialismus" und damit des marxistischen Rechts bereits gescheitert. Sein fundamentalistischer Rechtsbegriff musste zugunsten des auf einem skeptischeren Menschenbild gegründeten traditionellen abendländischen Rechtsbegriffes widerrufen werden.

Literatur

  • Geschichte des Strafrechts während der Amtszeit Honeckers (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 13), Köln 2000
  • Schroeder, Klaus, Raschka, Johannes, Justizpolitik im SED-Staat, Anpassung und Wandel. Der SED-Staat - Partei, Staat und Gesellschaft 1949-1990, München 1998

Hans Hattenhauer