Die Oberhöfe Kassel und Marburg

Die Karte veranschaulicht die städtischen Oberhofbeziehungen im Niederfürstentum Hessen und ihre Entwicklungen im 15. und 16. Jahrhundert.

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Oberhöfe
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Wer och, daz unse burger van Aldendorp krigen wurten umme eyn recht, des sie nicht geteylen mochtin oder enkunden, des sullen sie gen uf de scheffene van Kassele und so was en die teylen, daran sullin sie sich gemogen lasen uf beider syet und das vor eyn recht haben. Dieser Passus in dem Privileg Landgraf Ottos von Hessen vom 31. Dezember 1318 für die von Sooden und die Bürger von Allendorf an der Werra ist das bisher älteste Zeugnis für den Oberhof Kassel.

Die Hauptüberlieferung für die Tätigkeit des Oberhofs Kassel finden wir erst im 16. Jahrhundert in den landgräflichen Salbüchern. Es handelt sich teils um Aufzeichnungen des überkommenen Rechtszustandes, teils um landesherrliche Neuregelungen. Das wird besonders deutlich in Kassel und Hofgeismar.

Im Kasseler Salbuch von 1539 hieß es ursprünglich: Item were der rath irer urthel zwispruchig, haben sie iren rath und oberhoff bey den schepfen zu Leipczig zu holen von alter gewonheit, aber iczunder suchen sie etwa auf der canczley. Nachträglich wurde von alter gewonheit verbessert zu von alters gehabt und am Ende hinzugefügt: oder zu Marpurg, wie unser g. f. und h. bepholen. Tatsächlich war aber der Oberhofzug von Kassel nach Leipzig in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts noch intakt. 1538 waren Bürgermeister, Schöffen und Rat zu Homberg zweyspruchig im urtel, woln sich des an burgermeister und rath der stadt Cassel als irem oberhoff belernen und erfragen. Diese haben nach unserm brauch und herkommen uns auch ferner raths und belernunge des rechten bey den scheffen zu Leipzigk gebraucht. Darauf erging ein „Urteil“ der Schöffen zu Leipzig, das am Stadtgericht Homberg verkündet wurde.

Im Salbuch von Hofgeismar von 1554 steht: Item do die schepfen in den urtheiln zweyspruchig oder zu urtheilen nitt verstendigk, sollen sie rath auf der cantzley zu Cassel oder bey einem erbarn rath daselbst urtheil zu erlernen schuldigk sein. Am 1. Februar 1563 aber schickten Bürgermeister und Rat zu Hofgeismar die Akten in einem Erbschaftsstreit von alters hergebrachter gewonheith an den Rat zu Göttingen mit der Bitte, er solle was Recht ist erkennen. Am 22. April schickte der Göttinger Rat die Akten mit seinem Urteil zurück. Das Urteil wurde am 7. Mai uff unserm rathuse publicert und abgelesen, doch nun appellierte die Beklagte an Statthalter und Räte in Kassel, denen der Rat zu Hofgeismar am 14. Mai apostolos reverentiales schickte, worin er auch die Aktenversendung an unsern gewontlichen obern hoff erwähnte.

Nach den Salbüchern des 16. Jahrhunderts ist der Rat zu Kassel Oberhof für Allendorf/Werra, Grebenstein, Gudensberg, Helmarshausen, Hofgeismar, Homberg/Efze, Immenhausen, Hessisch Lichtenau, (auch für die Schöffen des Amtes und für die Schöffen zu Waldkappel), Rotenburg, Spangeberg, Witzenhausen und Wolfhagen. Salbücher sind nicht erhalten für Eschwege und für Hersfeld. Für Eschwege gibt das Stadtbuch I aus der Mitte des 15. Jahrhunderts einen Hinweis, denn es enthält ein Kasseler Urteil; Item es est gewist vor recht von dem rode von Cassel, daz… Und aus Hersfelder Quellen erfahren wir, das 1516 und 1561 der Rat zu Kassel Oberhof für Hersfeld war, dass Hersfeld aber früher seinen Oberhof in Frankfurt am Main hatte.

Ein Teil der genannten Städte war seinerseits wieder Oberhof für andere Gerichte. So war der Rat zu Eschwege Oberhof für Sontra und für Wanfried. Der Rat zu Grebenstein war Oberhof für Trendelburg, das seinerseits Oberhof für die Schöffen im Landgericht des Amts war. Gudensberg war Oberhof für Niedenstein. Homberg/Efze war Oberhof für Borken, für Felsberg, das seinerseits Oberhof für die Landschöffen im Amt Felsberg war, für Melsungen und für alle Gerichte im Amt Homberg. Immenhausen war Oberhof für Liebenau, für Zierenberg und für die Landgerichte im Amt Zierenberg zu Ober- und Niederelsungen und Niederlistingen. Rotenburg war Oberhof für die Gerichte Bebra, Breitenbach und Weiterode im Obergericht, Baumbach und Seifertshausen im Untergericht. Spangenberg war Oberhof für die Landgerichte im Amt zu Mörshausen, Neumorschen, Pfieffe und Schemmermark sowie für das Gericht Heydau.

Damit sind praktisch alle Städte und Ämter des Niederfürstentums Hessen unmittelbar oder mittelbar auf den Oberhof Kassel ausgerichtet, nur die vormals ziegenhainischen Städte und Gerichte in der Schwalm gehen nach Marburg bzw. nach Treysa. Diese kurzlebige Konzentration auf den Oberhof Kassel ist das Ergebnis der Politik des Landgrafen Philipp, der im 16. Jahrhundert die Oberhofzüge in das Ausland abschnitt, aber auch schon die Tendenz zur Ersetzung des städtischen Oberhofs durch die landgräfliche Kanzlei erkennen lässt.

Für den Oberhof Marburg sind von 1524 bis 1556 die Oberhofsprüche im zweiten Teil des sogenannten Donnerstagsbuchs erhalten; sie ergingen für folgende Stadt- und Dorfgerichte: Allendorf/Lumda, Alsfeld, Biedenkopf, Breidenbach, Caldern, Driedorf (das damals hessisch war), Ebsdorf, Frankenberg, Fronhausen/Lahn, Giessen, Gladenbach, Grünberg, Kirchhain, Lohra, Niederweimar, Schönstadt, (Groß) Seelenheim, Wehrda, Wetter und Ziegenhain. Einige dieser Gerichte waren ihrerseits Oberhof für andere. So ist 1553 eine Sache von scheffen des landgerichts zu Alsfeld an burgermeister und rath daselbst gelangt und von denselbigen alhie (Marburg) schrifftlich vorpracht. Das Stadtgericht Alsfeld war außerdem Oberhof für Grebenau und für Romrod. Biedenkopf war Oberhof für Dautphe. Die Schöffen des Gerichts zu Breidenbach haben 1546 als Oberhof des Gerichts Oberhörlen, 1553 als Oberhof des Gerichts Lixfeld Prozessakten an ihren Oberhof Marburg weitergeleitet. Ebsdorf war Oberhof für Wittelsberg und für die Gerichte Londorf und Frauenberg. Homberg/Ohm hatte seinen Oberhof zunächst in Grünberg, dann direkt in Marburg. Lohra war Oberhof für Oberwalgern. Ziegenhain war 1535 Oberhof für Niedergemünden; 1546 gingen irrungen und geprechen, so sich am gericht zu Freilndorf (Frielendorf) erhalten, von Bürgermeister und Rat zu Ziegenhain an deren Oberhof Marburg.

Im Frankenberger Stadtrechtsbuch von 1493 heißt es: In eyner stadt, da gekorne scheffen synt, dy orteil suln fynden, gehoren an daß gerichte, daß eß gantz sy, vyrtzehen personen. Daß synt der richter, die tzwelff scheffen und der knecht. In kleynern stedden und dorffen synt nicht wan ses ader vyr scheffen, daß heysßen undergerichte. Wilch gerichte ander under sich hait, dy recht an em lernen, <alß Franckenberg hat Franckenawe, Sachsenberg, Geißmor, Rottenaw etc.>, daß sal tzwelff scheffen han, dy gerichte sittzen. Frankenberg war danach Oberhof für Frankenau, Sachsenberg, Geismar und Röddenau, seit 1553 für die Gerichte im Amt Wolkersdorf, das sind Geismar, Röddenau und Viermüden, seit 1536 für das Gericht Löhlbach.

Wie fast überall haben sich auch in Nord- und Mittelhessen mehrstufige Oberhofzüge herausgebildet. So ging der Oberhofzug von den Landschöffen im Amt Felsberg an das Stadtgericht Felsberg, von dort nach Homberg an der Efze, weiter nach Kassel, von Kassel nach Leipzig und gegebenenfalls von Leipzig nach Magdeburg, sodass hier sogar ein fünfstufiger Zug gegeben ist, der weit über das hessische Rechtsgebiet hinausgeht. Diese mehrstufigen Oberhofbeziehungen versucht die Karte zu verdeutlichen; der Übersichtlichkeit halber werden aber nur die städtischen Oberhofbeziehungen dargestellt.

Literatur

Wilhelm August Eckhardt, Vorarbeiten zu einem historischen Atlas, Hessisches Jahrbuch LI (2001), 59-81.

Wilhelm A. Eckhardt