Organisation des Deutschen Reichs in der Weimarer Republik

Nachdem im Zuge der Revolution von 1918 im Kampf um die Neugestaltung des Reichs sich die demokratischen Kräfte durchgesetzt hatten und damit die Entscheidung für eine parlamentarische Demokratie gefallen war, beriet die Nationalversammlung in Weimar das neue Verfassungswerk, das als Reichsverfassung vom 11.8.1919 mit seiner Verkündigung in Kraft trat.

Hugo Preuß als Reichsminister des Innern hatte hierfür den amtlichen Entwurf geliefert, dem im Ablauf der Verfassungsberatungen weitere Entwürfe folgten. Für Preuß stand bei all seinen Überlegungen der Antagonismus Reich-Preußen im Vordergrund, den es nach Fortfall der Personalunion bei den höchsten Staatsämtern aus der monarchischen Zeit aufzulösen galt. Seine Idee der territorialen Neugliederung des Reichs unter Auflösung Preußens und Bildung neuer Länder war indes zu radikal, um politisch mehrheitsfähig zu sein. Aber seine weiteren Grundgedanken zur Schaffung einer starken Reichsgewalt durchzogen die Weimarer Reichsverfassung.

Das Reich war nach der Verfassung zwar ein aus Ländern bestehender Bundesstaat, aber es war gleichzeitig ein föderales Gebilde mit starken unitarischen Zügen. Die zugunsten des Reichs eingeführte neue Finanzverfassung, der zufolge nunmehr die Länder zu finanzpolitischen Kostgängern des Reichs wurden und der insgesamt verreichlichte Verkehrssektor von Post, Bahn und Wasserstraßen belegen die einheitsstaatliche Prägung der Reichsverfassung sowie die bedeutsame Stärkung der Reichsgewalt zu Lasten der Länder.

Der Reichstag war das Legislativorgan, dem der Reichsrat als Organ der Länder auf Reichsebene mit Beteiligung am Reichsgesetzgebungsverfahren gegenüber stand. Der Reichstag wurde von allen wahlberechtigten deutschen Männern und Frauen auf 4 Jahre gewählt, während die Mitglieder des Reichsrats Vertreter der 18, später nur noch 17 Landesregierungen waren. Die Reichsratsvertreter wurden von den Landesregierungen entsandt und waren insoweit auch weisungsgebunden.

Das Land Preußen nahm auf der Ebene der Reichsgesetzgebung eine Sonderrolle ein. Es war durch die 2/5-Regelung, wonach kein Land über mehr als 2/5 der Stimmen im Reichsrat verfügen durfte, und das Stimmensplitting der preußischen Stimmen in weisungsgebundene Staatsministerialstimmen und weisungsunabhängige Provinzialstimmen geschwächt. Es ist vorgekommen, dass Staatsministerial- und Provinzialstimmen bei Abstimmungen im Reichsrat im Rahmen der Reichsgesetzgebung sich gegeneinander aufhoben und somit den preußischen Einfluss auf die Reichsgesetzgebung auf Null reduzierten.

Der Reichsrat konnte gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze Einspruch erheben, dieser war aber mit qualifizierter Mehrheit vom Reichstag überstimmbar. Den Vorsitz im Reichsrat führte ein Mitglied der Reichsregierung.

Anders als nach dem Grundgesetz war das Staatsoberhaupt nach der Weimarer Reichsverfassung, der Reichspräsident, vor allem Organ der Exekutive mit – in begrenztem Umfang – außerordentlichen Vollmachten.

Der Reichspräsident ernannte und entließ den Reichskanzler. Er war diesbezüglich verfassungsrechtlich unabhängig von einem Reichstagsvotum, d. h. der Reichskanzler wurde nicht vom Reichstag gewählt. Der Reichskanzler war aber im doppelten Sinne abhängig, einerseits vom Vertrauen des Reichspräsidenten, andererseits vom Vertrauen der Mehrheit des Reichstags hinsichtlich der von ihm verfolgten Politik, für die er die Richtlinienkompetenz hatte. Die Reichsminister wurden auf Vorschlag des Reichskanzlers vom Reichspräsidenten ernannt.

Der starken Stellung des Reichspräsidenten stand der Reichstag mit der starken Befugnis gegenüber, sowohl dem Reichskanzler als auch den Reichsministern das Vertrauen zu entziehen, dessen sie für ihre Amtsführung bedürfen. Die Folge des Vertrauensverlustes durch Beschluss des Reichstags als destruktives Misstrauensvotum war der Rücktritt.

Diese Bestimmung war sicher eine der großen Schwächen der Reichsverfassung mit weitreichenden Folgen für die Regierungsstabilität angesichts der Schwierigkeiten, politische Mehrheiten im Reichstag zu organisieren. Hiermit korrespondierte das Recht des Reichspräsidenten, den Reichskanzler ohne Wahl durch den Reichstag zu ernennen. Der Reichspräsident musste in der Ausübung dieser wichtigen Funktion allzu häufig in der Erwartung lavieren, dass der von ihm Ernannte auch über eine parlamentarische Mehrheit verfügte oder eine organisieren könne.

Der Reichspräsident vertrat das Reich völkerrechtlich, er hatte den Oberbefehl über die Reichswehr, übte das Begnadigungsrecht aus und verfügte im Rahmen seiner Vollmachten über das Mittel der Reichsexekution gegen die Länder und die Diktaturgewalt als Notverordnungsrecht nach Artikel 48 Reichsverfassung. Das Notverordnungsrecht hat der Reichspräsident häufig angewandt, vornehmlich in der Zeit der Präsidialkabinette. Bei der Anwendung der Reichsexekution war der spektakulärste und politisch brisanteste Fall das Vorgehen gegen Preußen am 20.7.1932 mit der Absetzung der preußischen Staatsregierung und der Einsetzung des Reichskanzlers als Reichskommissar in Preußen.

Die Länder im Reich hatten Landesregierungen, die nach den Mehrheitsverhältnissen im jeweiligen Landesparlament gebildet wurden. Verwaltungsmäßig waren die Länder vom Grundsatz her zuständig für die Anwendung des Reichsrechts in Ausführung der Reichsgesetze, sofern das Reich über keine eigene Verwaltung verfügte. Da aber das Reich daran ging, seine eigene Verwaltung auszubauen und die Reichsgesetze durch sie ausführen zu lassen, gab es Konflikte zwischen den Ländern und dem Reich, insbesondere zwischen dem Reich und Preußen, die häufig erst vom Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, der bei Verfassungsstreitigkeiten zuständig war, gelöst werden konnten. Eine durchgestufte Reichsverwaltung als Fachverwaltung gab es im Finanz- und Steuerbereich durch die Reichsfinanzverwaltung und auf dem Verkehrssektor bei den Eisenbahnen, den Wasserstraßen und der Post sowie in der Arbeitsverwaltung.

Eine Besonderheit in der Verwaltungsorganisation waren auf Landesebene Verwaltungsgemeinschaften zwischen Preußen und den kleinen sowie kleinsten Ländern gegen Kostenerstattung, da jeweils eine eigene Landesverwaltung zu aufwendig und kostenintensiv gewesen wäre.

Die unabhängige Justiz bestand in der Spitze aus dem für Zivil- und für Strafsachen zuständigen Reichsgericht in Leipzig und dem bei diesem Gericht gebildeten Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich als Reichsverfassungsgericht.

Die Weimarer Verfassung war ein relativ wertneutrales Konstrukt liberaler staatsrechtlicher Regelungen mit Schwachstellen in entscheidendem Bereich von Regierungsbildung und Regierungsstabilität sowie in der Abwehr des politischen Radikalismus. Die Funktionsfähigkeit des Regierungssystems war gegründet auf den Generalkonsens der demokratischen Parteien im Parlament. So lange und soweit dieser vorhanden war, konnte die demokratisch legitimierte Staatspraxis in Gesetzgebung und Regierungshandeln sich entfalten.

Die liberale Verfassung von Weimar war jedenfalls nicht schuld am Untergang der ersten deutschen Republik, für die sie geschaffen worden war. Das waren andere Faktoren, deren Erörterung nicht in den Rahmen dieser kurzen Darstellung der Reichsverfassung passt.

Die Weimarer Reichsverfassung ist von den Nationalsozialisten beim Aufbau der „neuen Ordnung“ formal auch nie aufgehoben worden, obwohl sie bei der Herausbildung des zentralistisch organisierten Führerstaates ihres Wesensgehalts grundlegend beraubt worden ist.

Literatur

  • Anschütz, Gerhard; Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 7. Auflage, Berlin 1928
  • Giese, Friedrich; Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 6. Auflage, Berlin 1925
  • Heiber, Helmut; Die Republik von Weimar. dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 3, München 1966
  • Preuß, Hugo; Entwurf der künftigen Reichsverfassung (allgemeiner Teil), hggb. im Auftrage des Reichsamts des Innern, Berlin 1919
  • Erdmann, Karl Dietrich; Geschichte der Weimarer Republik. In: Handbuch der Deutschen Geschichte, 9. Auflage, Bd. 19, München o. J.

Helmut Klaus